Rede Jürgen Mistol
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen!
Nach dem Redebeitrag von Herrn Straub kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Thema Fachkräftemangel zumindest bei der CSU immer noch viel zu sehr unterschätzt wird. Herr Straub, Bedenkenträgerei statt Lösungsansätzen hat Ihre Rede gekennzeichnet.
(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Mit dem Kollegen Straub spricht halt ein Fachmann!)
– Ich darf trotzdem das sagen, was ich empfinde, liebe Frau Kollegin. – Wir alle in diesem Hause führen, auch wenn wir kein mittelständisches Unternehmen führen, immer wieder Gespräche, zum Beispiel mit den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern. Wir machen Unternehmensbesuche. Wir besuchen große Unternehmen, wir besuchen kleine Handwerksbetriebe. Wir haben vielfältige Begegnungen mit der Wirtschaft. Da wird uns das Thema Fachkräftemangel immer wieder rückgespiegelt.
Wir haben als GRÜNEN-Fraktion im Frühjahr Betriebe besucht, die ganz gezielt Flüchtlinge ausbilden. Mich hat immer interessiert, warum ein Betrieb einen Flüchtling ausbildet. Die Motivation war sehr vielgestaltig. Sicher haben da manche Unternehmer auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gespürt. Aber immer spielten auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle; denn es gibt einfach nicht genügend geeignete Bewerber. Deswegen hat man auch Flüchtlingen eine Ausbildung angeboten. Da sind die Unter- nehmen viel risikofreudiger, als das offensichtlich bei der CSU der Fall ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zuwanderung und Einwanderung werden von der Wirtschaft nicht nur als Herausforderung empfunden – sicher sind sie mit Problemen verbunden –, sondern vor allem auch als Chance, gerade was den Fachkräftemangel betrifft. Die künftige Lebensqualität wird auch in Bayern davon abhängen, wie viele Menschen in Zukunft bei uns arbeiten und damit zur Sicherung des Wohlstands beitragen werden. Neben der Mobilisierung der eigenen Potenziale werden wir dann auch gut ausgebildete Menschen aus der ganzen Welt brauchen.
Es ist gut, Erfahrungen zu sammeln, ja, es ist sogar überfällig, weil Deutschland in Sachen Einwanderung bzw. Gestaltung dieser Einwanderung immer noch Entwicklungsland ist. Insofern halten wir GRÜNE es für sinnvoll, an diesem Modellprojekt in Anlehnung an das in Baden-Württemberg initiierte Pilotprojekt "PUMA" für eine geregelte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte in Bayern teilzunehmen.
Die Zeit, Kollege Straub, in der Sie alles ablehnen, was aus Baden-Württemberg kommt, müsste auch für Sie langsam vorbei sein. Sie haben doch sicherlich
schon mitbekommen, dass Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde in Baden-Württemberg mittlerweile mitregieren.
(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN: Mit!)
– Ja, ganz deutlich mitregieren.
Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der FREIEN WÄHLER geht in die richtige Richtung. Allerdings geht er aus unserer Sicht nicht weit genug. Wir GRÜNE sagen, es ist Zeit, dass sich gerade auch die CSU ernsthaft Gedanken über ein modernes Einwanderungsgesetz macht, das mehr Bereiche regelt als das, was wir gerade hier besprochen haben, und das auch für Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind oder zu uns kommen, eine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt bietet. Insofern werden wir dem Antrag der FREIEN WÄHLER zustimmen.
(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Danke sehr. Bleiben Sie bitte noch am Rednerpult; wir haben noch eine Zwischenbemerkung vom Kollegen Straub.
Karl Straub (CSU): Sehr geehrter Herr Mistol, es ist schon bemerkenswert, dass Sie mir unterstellen, ich hätte vom Fachkräftemangel wenig Ahnung. Sie sagen, Sie seien absoluter Mittelstandsexperte, weil Sie Handwerksbetriebe usw. besucht hätten.
Ich besuche öfters einmal Krankenhäuser und Ärzte, kann aber trotzdem keine Operationen durchführen.
(Beifall bei der CSU)
Seit über 20 Jahren leite ich allerdings einen mittelständischen Betrieb in Eigenverantwortung und Vollhaftung. Das heißt, ich versuche zusammen mit meinen Mitarbeitern, Zukunft zu gestalten. Ich mache mir über den Fachkräftemangel jeden Tag Gedanken.
Glauben Sie mir, die Überlegungen, die der Antrag von Dr. Fahn enthält, haben wir ebenfalls angestellt. Wir haben festgestellt, dass das so nicht funktioniert. Das ist nicht alles so einfach, wie Sie sich das vorstellen: Ich mache schnell mal einen Versuch und hole ein paar Leute aus Drittstaaten, und schon ist der Fachkräftemangel behoben. – Das ist kompletter Blödsinn. Sagen Sie mir doch einmal ganz genau, woher die Leute kommen sollen, die Sie haben wollen. Stellen Sie sich doch einmal vor: Wir haben die EU mit circa 500 Millionen Einwohnern. Spanien hat dabei eine Jugendarbeitslosigkeit von circa 50 %. Warum bündeln wir nicht alle Kräfte, um aus diesen Ländern unsere nötigen Facharbeiter zu gewinnen?
Sie sollten hier nicht irgendwelche Schauanträge einbringen, sondern praxisgerechte Überlegungen anstellen, und Sie sollten vor allen Dingen einem Mittelständler nicht unterstellen, Fachkräftemangel keine Ahnung.
(Beifall bei der CSU)
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Bitte sehr, Herr Mistol.
Jürgen Mistol (GRÜNE): Kollege Straub, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass das funktioniert, heißt noch lange nicht, dass es vielleicht doch funktioniert.
(Widerspruch bei der CSU)
Kollege Straub, man macht ein Pilotprojekt, um auszuprobieren, ob so etwas überhaupt funktionieren kann.
Ich wundere mich schon, dass Sie unterstreichen, Unternehmer zu sein. Die Unternehmer, mit denen ich zu tun habe, sind sehr risikofreudig; denn das gehört zum Unternehmerdasein einfach dazu. Sie aber wissen bereits im Vorfeld, dass das nichts werden kann. Insofern halte ich es für gut, alles einmal auszuprobieren. Und wenn Sie meinen, dass das nicht geht, dann ist das halt so. Dann versuchen es die anderen Bundesländer, und dann schauen wir uns an, was in den anderen Bundesländern herauskommt.
(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄHLERN)