Um mehr über die kommunale Selbstverwaltung in Norwegen zu erfahren, haben wir der Kommune Sund im Regierungsbezirk Hordaland einen Besuch abgestattet. Mit ca. 6.515 Einwohnern auf einer Fläche von 99.3 qkm ist Sund eine ländliche Gemeinde ohne größere Siedlungszusammenhänge. Bürgermeisterin Karri-Anne Landro der konservativen Partei Hoyre ist seit 2013 im Amt und klärte uns über die Strukturen der norwegischen Kommunalpolitik auf.
Als dezentraler Einheitsstaat kennt Norwegen nur zwei Ebenen, den Zentralstaat und die kommunale Ebene, die zweistufig aufgebaut ist. Norwegen zählt derzeit 19 „fylker“ (Landkreise), die sowohl staatliche als auch überörtliche Aufgaben wahrnehmen, und 428 Gemeinden. Alle norwegischen Kommunen sind einander gleichgestellt. Sie sind verantwortlich für das Grund- und das untere Sekundarschulwesen, die sozialen Einrichtungen, den kommunalen Straßenbau, die Wasserversorgung und Abwasserregulierung sowie die Flächennutzungsplanung. Sie finanzieren sich aus eigener Steuererhebung und aus Vergabe von zentralen Mitteln.
Die Anzahl der Gemeinden ist in Norwegen durch Gebietsreformen und freiwilligen Zusammenschlüssen, die seit den 90er Jahren besonders stark unterstützt werden, stark gesunken. Gab es 1930 noch 747 Gemeinden, waren es nach der Gebietsreform von 1974 nur noch 443. Seitdem sinkt die Zahl langsam und liegt nun bei 428 Gemeinden. Bis 2016 sind die norwegischen Gemeinden angehalten, Vorschläge für weitere Zusammenschlüsse vorzulegen. Eine weitere Gebietsreform wird von Vertretern aller Parteien grundsätzlich befürwortet, wobei die norwegischen Grünen eine Reform von „oben“ ausdrücklich ablehnen, schließlich soll die kommunale Selbstverwaltung weitgehend gewahrt bleiben.
Neben gleichwertigen Lebensverhältnis stehen die Grünen in Norwegen für landesweit einheitliche Standards im Bereich Bildung und Gesundheit ein, wobei den Kommunen auch dabei größtmögliche Autonomie zugestanden werden soll. Die deutliche Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie ist in Norwegen nicht fremd, dennoch achtet der Staat darauf, dass vor allem die (nördlichen) Provinzen nicht abgehängt werden. So ist das flache Land im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl im norwegischen Parlament, dem Storting, deutlich überrepräsentiert.
Um die Abwanderung in vor allem in Nordnorwegen zu verlangsamen, investiert der Staat nicht nur überdurchschnittlich viel in die Infrastruktur, sondern bietet allen, die dort leben, Vergünstigungen in Form von Steuervergünstigungen, höheres Kindergeld oder Ausbildungsvergünstigungen. Seit Juli beschäftigt sich im Bayerischen Landtag eine Enquetekommission mit der Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen im Freistaat. Die norwegischen Ansätze könnten dabei auch für die weitere Entwicklung des ländlichen Raums in Bayern Lösungen bieten.
Vom Institut für Friedensforschung geht es zu Fuß durch den Stadtteil Grünerlokka nordöstlich von Oslos Innenstadt. Das traditionelle Arbeiterviertel hat sich vom grauen Quartier mit leerstehenden Häusern zu einem lebendigen Szeneviertel gemausert, das bei Kreativen und jungen Familien gleichermaßen beliebt ist. Gleich daran grenzt das Gelände des ehemaligen Vulkan-Werks an, auf dem eins von Oslos interessantesten Stadtentwicklungsprojekten Gestalt annimmt. Dem Motto „Andere Gedanken erfordern anderen Raum“ getreu, soll gezeigt werden, wie neue und nachhaltige Architektur das Stadtbild maßgeblich beeinflussen kann. Entstanden sind Wohnungen, Schulen, Hotels, Restaurants und verschiedene Kulturräumlichkeiten.
In den Räumlichkeiten des Ps:hotell, das als Arbeitspraxisprojekt im Bereich Hotellerie Menschen bei der Eingliederung ins Arbeitsleben unterstützt, erläutern uns Investoren und VertreterInnen der Kommunalpolitik das Konzept dieses Stadtentwicklungsprojekts. Bei der Planung des Vulkan-Geländes als „Stadt in der Stadt“ war Nachhaltigkeit das grundlegende Prinzip, und der Fokus auf Energie-Effektivität ist sowohl in großen Strukturen als auch kleinen Details sichtbar. Eine lokale Energiezentrale mit 300 Meter tiefen geothermischen Brunnen versorgt, je nach Jahreszeit, alle Gebäude auf dem Gelände mit Wärme oder Kühlung. Zudem wird die Energie von Kühlräumen und Aufzügen rückgewonnen. Dadurch kann insgesamt 60 % der Energie eingespart werden.
Neben der Architektur auf dem Vulkan-Gelände tragen auch viele der auf dem Gelände ansässigen Akteure zu einem grünen Stadtteil bei. Im Oktober 2012 öffnet auf dem Gelände Oslos erste Markthalle, um die Einwohner Oslos und die Gäste der Stadt mit ökologischen und regionalen Lebensmitteln zu versorgen. Die Markthalle wird in einem renovierten Teil einer Fabrik aus dem späten 19. Jahrhundert errichtet. Auf diese Weise bleibt ein wichtiges Zeugnis der Geschichte der Umgebung erhalten. Natürlich drängte sich die Frage auf, ob ein derartiges Projekt zur Stadtteilaufwertung nicht unweigerlich zu Gentrifizierungsprozessen und damit zur Verdrängung führt sowie wir es in Berlin, München oder Hamburg seit Jahren beobachten.
Hier zeigt sich aber ein gravierender Unterschied zwischen dem Wohnraumbestand in Norwegen und Deutschland, denn zur Miete wohnen in Norwegen die wenigsten. Norwegen ist ein Volk der Hausbesitzer. Zudem existiert ein spezifischer Typ von Eigentumswohnungen in Genossenschaftsform. Rund 77 % aller Haushalte in Norwegen leben somit im Eigentum, während in Deutschland als „Mieterland“ die Quote bei 45 % liegt. Norwegen hat einen Mietanteil von 23 %, davon sind nur etwa 4 % Sozialwohnungen. Zudem gibt von staatlicher Seite Unterstützung für Menschen, die Probleme haben, eine eigene Wohnung zu finden oder Hilfe brauchen, um in ihrer Wohnung bleiben zu können.