Rede Jürgen Mistol
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen!
Flucht und Vertreibung sind ein Thema, das uns GRÜNE regelmäßig beschäftigt. Warum beschäftigt uns dieses Thema? – Weil im Zentrum unserer Politik der Mensch mit seiner Würde, mit seiner Freiheit steht. Was für die heutige Zeit gilt, gilt auch für das, was Deutschen vor 80 Jahren widerfahren ist.
Ich sage es ganz deutlich: Für uns GRÜNE im Bayerischen Landtag ist klar, dass es Unrecht ist und bleibt, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Frauen, Männer und Kinder aus ihrer Heimat und aus ihrem Zuhause vertrieben wurden, dass sie enteignet, ihres Besitzes beraubt, misshandelt und ermordet wurden. So steht es auch im Wortlaut einer Erklärung, die meine Fraktion im März dieses Jahres beschlossen hat – übrigens einstimmig – und über die wir uns auch mit dem Bund der Vertriebenen und speziell auch mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgetauscht haben.
(Beifall bei den GRÜNEN sowie des Abgeordneten Bernhard Pohl (FREIE WÄH- LER))
Kolleginnen und Kollegen, Ende 1946 war jeder fünfte Mensch in Bayern aus der Heimat vertrieben oder geflüchtet. Etwa 2 Millionen Menschen, gut die Hälfte, waren Sudetendeutsche. Diese Zahl ist eindrucksvoll. Wir können das Trauma und das Leid der Vertreibung, das Erleben von schlechter Versorgung, von Unterbringung an fremden Orten und auch von den Konflikten mit den damals ebenfalls notleidenden Einheimischen nur erahnen.
Die damals neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben den Freistaat nach dem bisher dunkelsten Kapitel unserer Geschichte in erheblichem Maß mit aufgebaut, verändert und bereichert. Sie waren ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Bayern hat von diesen Menschen profitiert. Unsere Antwort als Landtag kann nur sein: Lernen wir von den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen der Jahre 1945/1946 Versöhnung und Verständigung, die die Saat für Frieden und Freundschaft gelegt haben.
Wir dürfen das nach dem Krieg erlittene Unrecht nicht vergessen und haben die Aufgabe, die Geschichte lebendig zu halten. Ja, es ist für den Landtag ein guter Zeitpunkt, die Versöhnungs- und Aufbauleistung der Menschen mit einem Gedenkakt hier im Landtag zu würdigen.
(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie des Abgeordneten Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER))
Viele von Ihnen wissen ja, dass ich gemeinsam mit dem Kollegen Dr. Hopp vonseiten des Bayerischen Landtags Koordinator der bayerisch-tschechischen Parlamentsfreundschaft bin. Als ich 2019 erstmals mit dieser Aufgabe betraut wurde, war mir schnell klar, dass die Protagonisten der sudetendeutschen Volksgruppe sich schon seit Längerem als wahrhafte Brückenbauer zwischen Tschechien und Bayern betätigen.
Beim Sudetendeutschen Tag sind Minister der tschechischen Regierung eingeladen. Sie sprechen die Sudetendeutschen mit "Liebe Landsleute" an, und es wird nicht nur die deutsche, sondern auch die tschechische Nationalhymne gesungen. Gleichzeitig rückt die Vertreibung der Deutschen in der tschechischen Zivilgesellschaft mehr und mehr in den Fokus. Schon seit 20 Jahren machen sich zum Beispiel junge Menschen aus Brünn auf den Weg der mehr als 20.000 deutschen Brünnerinnen und Brünner, die vor 80 Jahren zur österreichischen Grenze getrieben wurden. Mindestens 1.700 von ihnen starben dabei. Das ist, finde ich, eine große Geste unserer Nachbarn aus Tschechien. Ich bin letztes Jahr mitmarschiert. In diesem Jahr war die Kollegin Kerstin Celina mit dabei, und wir sind beeindruckt von diesem Engagement.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir dieses Händereichen zwischen Sudetendeutschen und Tschechen zum Vorbild. Erteilen wir dem Nationalismus eine Absage, stärken wir den europäischen Einigungsprozess, treiben wir ihn voran, um Selbstbestimmung und Freiheit für alle Europäerinnen und Europäer zu gewährleisten und um letztendlich auch den Wohlstand zu sichern. Kämpfen wir für unser demokratisches Gemeinwesen. – Deswegen werden wir dem Dringlichkeitsantrag der CSU gerne zustimmen. Den Antrag der AfD lehnen wir ab.
(Beifall bei den GRÜNEN, der CSU, den FREIEN WÄHLERN und der SPD)
Jürgen Mistol (GRÜNE): Lieber Herr Kollege Pohl, teilen Sie meinen Eindruck, dass es der AfD bei diesem Thema gar nicht um Versöhnung geht, sondern um etwas ganz anderes? Können Sie sich erklären, warum die AfD bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft Hausverbot hat?
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CSU und der FREIEN WÄHLER)