Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen!
Der spanische Philosoph und Soziologe José Ortega y Gasset hat gesagt: "Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie auch immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär."
Was eigentlich zur Routine gehört – dem Landtag nach jeder Kommunalwahl einen Erfahrungsbericht vorzulegen, der als Grundlage für mögliche Änderungen bzw. Anpassungen im Wahlrecht dient –, hat sich wegen einer solchen geringfügigen technischen Einzelheit zu einer handfesten Debatte im Landtag entwickelt. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU, wollten still und heimlich das Kommunalwahl- recht zu Ihren Gunsten ändern.
(Dr. Florian Herrmann (CSU): Das ist einfach falsch!)
Ich möchte darauf hinweisen, dass das wirklich eine Nacht-und-Nebel-Aktion war. Der Änderungsantrag der CSU kam plötzlich am Vorabend der eigentlich geplanten Ausschussberatung als Tischvorlage auf die Tagesordnung. Es ist schon bemerkenswert, dass eine derart wichtige Sache so spät, still und heimlich eingereicht worden ist.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Kolleginnen und Kollegen, ein Sitzzuteilungsverfahren ist, wie wir alle gelernt haben, nicht nur aus mathematischer Sicht alles andere als trivial. Die politische Wirkung Ihres Antrags, wieder zum Sitzzuteilungsverfahren nach d’Hondt zurückzukehren, hat auf kommunaler Ebene sehr hohe Wellen geschlagen. Beim Widerstand gegen diese Änderung hatten wir eine Vielzahl bayerischer Kommunen an unserer Seite. Viele Gemeinderäte, Stadträte, Kreistage und Bezirkstage haben sich mit klaren Beschlüssen, teilweise mit Zustimmung von CSU-Räten, gegen die Rückkehr zum Zählverfahren nach d'Hondt ausgesprochen. Teilweise wurden diese Resolutionen als Petitionen in den Landtag eingebracht. Beispielhaft sind die Beschlüsse aus den Städten Landshut und Regensburg, den Kreistagen in Ansbach und Schweinfurt sowie dem Bezirkstag Unterfranken, aber auch kleinerer Gemeinden wie Bernau am Chiemsee oder Feldkirchen-Westerham, die sich klar gegen diese CSU-Initiative positioniert haben.
Kolleginnen und Kollegen, die sehr aufschlussreiche Expertenanhörung, die im Herbst letzten Jahres statt- gefunden hat, war ein Vorschlag der GRÜNEN. Sie werden sich noch daran erinnern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit dieser Anhörung haben wir Ihnen Zeit verschafft, Ihre internen Querelen mit Noch-Ministerpräsident Seehofer beizulegen. Die Anhörung war jedoch vor allem ein guter Tag für die Demokratie in Bayern.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Nach der vernichtenden Kritik der Sachverständigen an d'Hondt war klar, dass wir keine Rückkehr zu einem Zählverfahren brauchen, das zulasten der Pluralität geht. Stattdessen brauchen wir ein Verfahren, das den Willen der Wählerinnen und Wähler bestmöglich abbildet. Schlussendlich haben sich alle Fraktionen auf das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers geeinigt. Dieses Verfahren wird seit dem Jahr 2008 auch bei den Bundestagswahlen eingesetzt und ist laut Expertenmeinung das gerechteste. Kolleginnen und Kollegen, diese Einigkeit ist ein starkes Signal für die Demokratie.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Die Debatte über das Sitzverteilungsverfahren soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch andere Vorschläge zur Verbesserung der Kommunalwahlgesetze intensiv diskutiert wurden. Zwar finden viele Vorschläge aus diesem Erfahrungsbericht Eingang in den Gesetzentwurf, einige sinnvolle Vorschläge wurden jedoch nicht berücksichtigt. Dazu gehört beispielsweise die Abschaffung der Möglichkeit zur Verdoppelung der Bewerberzahlen in Gemeinden bis zu 3.000 Einwohnern, was erheblich zur Vereinfachung und zur Verständlichkeit für die Wählerinnen und Wähler beitragen würde. Für uns ist die Abschaffung der Wählbarkeitshindernisse amtierender Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte nicht nachvollziehbar. Herr Kollege Scheuenstuhl hat bereits darauf hingewiesen. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob es tatsächlich zur Stärkung des passiven Wahlrechts beiträgt, wenn die Wählerinnen und Wähler über die Ernsthaftigkeit einer Kandidatur selbst entscheiden. Meiner Meinung nach legitimiert man letztlich mit dieser Regelung nur Scheinkandidaturen.
In die gleiche Richtung geht der Vorschlag, den seit Jahren umstrittenen Tarnlisten Tür und Tor zu öffnen, sowie die Intention, durch eine Änderung der Vertretungsregelung die Geschäftsordnungsautonomie des Gemeinderats auszuhöhlen. Positiv hervorzuheben ist, dass Sie das Rederecht in der Bürgerversammlung gemäß Artikel 18 der Gemeindeordnung erweitern. Damit setzen Sie endlich eine langjährige grüne Forderung um, auch wenn diese Änderung in vielen Punkten noch immer deutlich hinter unseren Vorstellungen zur Stärkung der Mitwirkungsrechte auf kommunaler Ebene zurückbleibt.
Kolleginnen und Kollegen, zur Stärkung der Demokratie auf kommunaler Ebene hat die GRÜNEN-Fraktion eine lange Liste an Änderungsanträgen eingebracht. Dazu gehörten beispielsweise die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, ein gesetzlicher Freistellungsanspruch in allen Kommunalordnungen zur Stärkung des in der Verfassung garantierten Ehrenamts und auch die Erweiterung des passiven Wahlrechts für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie Regelungen zur Transparenz, zur Barrierefreiheit und Förderung der Digitalisierung – um nur einige zu nennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie sind uns bei keinem dieser Punkte entgegengekommen. Bei dem Gesetzentwurf der Staatsregierung werden wir uns deshalb aufgrund der genannten Vor- behalte letztendlich enthalten. Ich kann aber sagen: Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Die Debatte zum Sitz- verteilungsverfahren hat gezeigt, dass sich auch die CSU hin und wieder eines Besseren belehren lässt. Das war ein grüner Erfolg.
(Beifall bei den GRÜNEN)