Pilsen – nicht nur dein Bierbrauort, sondern auch eine historische Stadt, eine grenznahe Stadt, wo die bayerischen Einflüsse auf die tschechischen treffen und eine Industrie und Technologie-Stadt. In einer dreitägigen Informationsreise konnten die Vertreter*innen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag diese Stadt kennenlernen. Die Initiative kam von der IHK für Oberpfalz/Kelheim und federführend für die Organisation war Jürgen Mistol zuständig. Das Programm umfasste drei thematische Schwerpunkten, die eng zusammenhängen – der Dual-Fachausbildung, der Sprachausbildung und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bayern und Tschechien. Dabei ging es um die grenznahen Regionen, aber auch darüber hinaus reicht die Zusammenarbeit und man hat gesehen, dass viel voneinander gelernt werden kann. An der Informationsreise nahmen Abgeordnete von unterschiedlichen Bezirken (Oberpfalz, Oberbayern, Franken, Nierderbayern) und mit unterschiedlichen Zuständigkeiten (Verkehr, Bildung, Wohnen und Bauen, Naturschutz, Wald- und Forstwirtschafdt) teil. Bei einigen spannenden Besuchen zeigte sich eine Themenvielfalt, die diskussionswürdig waren und worüber man sich ausgetauscht intensiv hat.
Angefangen hat die Informationsreise mit der Traditionsfirma im Herzen Pilsens und „Arbeitgeber erster Wahl“, Škoda Transportation a.s. Nicht zu verwechseln mit Škoda, dem Betrieb aus Mladá Boleslav, stellt Škoda insbesondere Fahrzeuge auf der Schiene her – Züge, Straßenbahnen, O-Busse, U-Bahnen usw. Diese werden in über 50 Länder exportiert, u. a. nach Deutschland. Straßenbahnen aus diesem Betrieb fahren in 9 deutschen Städten. Es herrscht großes Interesse, sich an dem Stadtbahnprojekt in Regensburg zu beteiligen. Neben Straßenbahnprojekten hob der Vize-Präsident Niebling die O-Busse als Lösung für Stadtverkehr hervor. Damit ist ein besserer Wirkungsgrad zu erzielen und die Technologie ermöglicht auch Emissionsfreiheit. Diese Vorteile werden aber nur in sehr seltenen Fällen von deutschen Städten in Anspruch genommen. Voran treibt die Firma auch die Forschung an Wasserstofflösungen, wobei sie bereits einen Wasserstoffbus vorstellten konnte. Die Abgeordneten haben beim Gespräch viele Fragen gestellt und einigten sich mit den Firmenvertreter*innen auf einen gemeinsames Ziel – auf dem Weg zu einer grünen Mobilität muss das Verkehr auf die Schiene. Dabei sist oft die Zulassung der Züge ein Problem, dass mit mehr Schwierigkeiten verbunden ist, als beispielsweise bei einem LKW. Dieser Prozess wird unnötig verkompliziert, weil bei Škoda Transportation viele diverse Aufträge eingehen. Eine Standardisierung würde hier helfen, damit die Produktion der Schienenfahrzeuge günstiger und schneller wird. Unter der Bedingung des Ausbaus des Schienennetzes kann dann auch der Güterverkehr auf die Schiene verlagert und umweltfreundlicher werden.
Am zweiten Tag der Informationsreise führte der Weg zuerst zu SIT Port Pilsen. Das Unternehmen hat seinen Sitz seit diesem Jahr in einem renovierten Gebäude einer alten Brauerei, dem sog. TechTower. Die Abgeordneten bekamen hier eine Vorstellung des neuen Projektes PINE (Pilsen Innovation Ecosystem). Es stellt ein ausgeklügeltes System, das seit langen auch den Nachwuchs aus der Pilsener Region für Technik und Forschung begeistert. Die Kinder werden in der ersten Phase zwischen 5-16 Jahre in Robotik und Technologie-Kennenlern-Kursen eingeführt. Ab 16 Jahren stehen den Jugendlichen ausgerüstete Werkstätte zur Verfügung, wo sie ihre Projekte weitergestalten können. Diese ist immer offen und kostet nur 100 CZK im Jahr (4 €). Eine Basis bietet der Tech-Tower auch für diverse Start-Ups, die in der Region Pilsen erfolgreich sind. Sie bekommen hier Räumlichkeiten für ihre Ideen und somit die perfekte Grundlage, in der Wirtschaft zu starten. In dem Business Innovation Center Pilsen finden sich einige Projekte, die mit Technologie den Alltag vereinfachen wollen und kluge Lösungen anbieten. Die Abgeordneten konnten sich ein 10-Meter-tiefes Schwimmbecken ansehen, dass über 3 Stockwerke des TechTowers geht. Hier können Unterwassertechnologien getestet werden. Ausprobiert wurde auch eine neue Software, die mithilfe von einer VR-Brille Patienten ermöglicht, ihren Körper während eines Krankenhausaufenthaltes gezielt zu trainieren, indem sie z. B. Apfel pflücken oder Druckerpatronen auswechseln. Dies kann auch eine Hilfe sein bei dem Krankenpfleger*innenmangel, der sowohl in Bayern als auch Tschechien vorherrscht. Das Unternehmen SIT Port und der TechTower ist herausragend, weil es Jugendliche im jungen Alter für Technologie begeistert. Finanziert wird das Projekt von der Stadt Pilsen mithilfe von EU-Mittel. Die Abgeordneten waren begeistert von den Lösungen und Räumlichkeiten, die ihnen Tomáš Cholinský, der Kapitän des Schiffes SIT Port, vorgestellt hat.
Am Nachmittag ging es außerhalb von Pilsen weiter, nach Štěnovice zu der Firma Streicher spol. s.r.o. Auch hier kamen die Abgeordneten problemlos mit ÖPNV an, was zeigt, dass Pilsen ein Vorreiter ist, was öffentlicher Stadtverkehr betrifft. In Štěnovice und beim Streicher, einer deutschen Firma, die ein Teil ihrer Produktion nach Tschechien umsiedelte, haben die Abgeordenten eine Vorstellung des Unternehmens und seiner Aktivitäten im Bereich der Sprach- und MINT-Förderung von dem CEO Jiří Lopata bekommen. Die Firma legt großen Wert auf eine praktische Ausbildung, wobei die Azubis schon während der Schulzeit in der Firma arbeiten und sich nach dem Schulabschluss in die 170 Mitarbeiter*innen lückenlos eingliedern können. Die Tochtergesellschaft in Pilsen spezialisiert sich auf die Maschinenbauproduktion und den Versorgungsbau und engagiert sich auch in Forschung und Entwicklung in diesen Branchen. Die Firma hat einen hohen Mitarbeiterbedarf, weshalb sie in enger Zusammenarbeit mit den Universitäten Pilsen, Budweis, Regensburg, Deggendorf steht. Streicher steht in Kontakt mit den Jüngsten in der Grundschule und begeistert sie für Technik und kooperiert mit 3 Berufsschulen in der Region. Seit 1996 hat die Firma ein eigenes professionelles Ausbildungszentrum, welches vor kurzem auch von dem tschechischen Schulministerium anerkannt wurde. Sie versuchen gegen das Desinteresse der Jugendlichen für die Technik anzukämpfen. Trotz eines guten Rufs, den die technischen Berufe haben, ist es schwierig neue qualifizierten Arbeiter*innen zu akquirieren, insbesondere weibliche. Beim Streicher wird versucht, durch frühzeitige Kontaktaufnahme der Firma mit Grundschulkindern und eine attraktive Ausbildungsförderung, viele junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Die Firma ist dabei Vorreiter in der Region.
Am dritten und letzten Tag der Delegationsreise stand auf dem ersten Programmpunkt eine Besichtigung der Firma Konplan s.r.o., einer Tochtergesellschaft der Krones Group, die sich auf Abfüllanlagen von Getränken spezialisiert. Mit den Maschinen, die dieser Firmenverbund herstellt, wird jede 4. Flasche der Welt gefüllt. Auch diese Firma hat sich entschieden, ihren Sitz teilweise nach Tschechien und Region Pilsen zu verlagern und beschäftigt im Universitätenstadtteil Pilsens 400 Mitarbeiter*innen. In Pilsen werden aber keine Maschinen direkt montiert, sondern es handelt sich um den Entwicklungsbereich. Der damit verbundene hohe Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften konnte in Pilsen gedeckt werden. In dem „Bau des Jahres 2019“ werden nachhaltige und energiesparende Lösungen für die Getränkeindustrie entwickelt. Hervorzuheben ist auch, dass anders als in weiteren Unternehmen in Tschechien, hier viele Teilzeitkräfte, sowie Elternzeitrückkehrer*innen arbeiten. Nicht nur an der Universität in der Nähe wird sich bemüht, Arbeitskräfte zu binden, sondern Konplan besucht Schulen und versucht junge Menschen und auch Frauen für die technische Arbeit zu begeistern. Pilsen ist dabei ein wichtiger Technologiestandort, wo deutschen Firmen wie Konplan sich etablierenkönnen. Die Firma sowie die Firmenbienen haben hier ideale Bedingungen.
Im Rahmen des Besuchs bei Konplan traffen die Abgeordneten auch den neugewählten Rektor der Westböhmischen Universität, Prof. RNDr. Miroslav Lávička, Ph.D. und seine Kolleg*innen. Gemeinsam diskutierten sie über die Herausforderungen des Arbeitsmarkts, des Begeisterns von Mädchen für Technik sowie jungen talentierten Personen aus dem bayerisch-tschechischen Grenzgebiet. Die Universität ist an vielen deutsch/bayerisch-tschechischen und internationalen Projekten beteiligt und bemüht sich stark, dass alle Studierenden eine internationale Erfahrung während des Studiums machen. Somit betreibt die Universität auch einen regen Austausch mit bayerischen Universitäten und Hochschulen. Die Studenten können einen double-degree Bachelor in Zusammenarbeit mit der FH Hof, sowie einen Master mit der FH Deggendorf absolvieren.
Nach dem Gespräch mit den Universitätvertreter*innen standen die bayerisch-tschechische Ausbildungsmöglichkeiten im Mittelpunkt. Richard Brunner von IHK Oberpfalz / Kelheim stellte grenzüberschreitende Ausbildungskonzepte als „Zukunftsmodell(e) für die Nachbarstaaten“ vor. Die Azubis zu motivieren, an einem solchen Austauschprojekt teilzunehmen ist dabei die Schwierigkeit. Eine der Hürden ist die Sprachbarriere. Die Abgeordneten einigten sich darauf, dass die Sprachkenntnisse für einen erfolgreichen Austausch und eine funktionierende Nachbarschaft nicht nur im Bereich der Industrie das A und O sind. Vorgestellt wurde das erfolgreiche Modell, welches die Motivation deutlich steigert – der Zertifikatslehrgang für Führungskräfte in der Produktion. Dabei werden tschechische Arbeiter*innen, die aufgrund von fehlenden Möglichkeiten einer Meisterausbildung in Tschechen, in Deutschland zu „Industrial professionals“ ausgebildet. Das Programm sei „eingeschlagen wie eine Bombe“, weil über 100 Absolventen darin bereits Kenntnisse im Management, Kommunikation und Organisationsfähigkeiten sowie Führungskompetenzen erworben und es mit dem IHK-Zertifikat abgeschlossen haben.
Als letzter Punkt der Informationsreise besuchten die Abgeordneten die Berufsfachschule für Maschinenbau in Pilsen. Diese ist besonders, weil hier das Regionalbüro der IHK zusammen mit dem Koordinierungszentrum deutsch-tschechischer Jugendaustausch Tandem ein Projekt zur Förderung der deutschen Sprache verwirklicht hat. In der Regel lernen Berufsschüler*innen in Tschechien keine zweite Fremdsprache. Auf dieser Schule haben sie die einzigartige Möglichkeit das ganze Schuljahr über an einem Kurs der Nachbarsprache deutsch teilzunehmen. Diese Sprachkompetenz erweitert die Karrieremöglichkeiten der Berufsschüler*innen in den Unternehmen der Region. Die Unternehmen selber, wie z. B. die Firma Streicher, unterstützen dieses Projekt finanziell. Im Gespräch mit der Schulleiterin, den Lehrerinnen des Projekts sowie dem Leiter der Abteilung für die Organisation des Bildungswesens der Bezirksregierung wurde die schwierige Situation deutlich, in der sich der Deutschunterricht in Tschechien außerhalb von Gymnasien und Handelsakademien, die Deutsch in der Regel anbieten, befindet. Das Projekt „Deutsch ist Gold“ versucht dagegen anzukämpfen und auch an weiteren Schulen insbesondere in der Region Pilsen und den grenznahen Gebieten, den Deutschunterricht zu etablieren, zu erneuern oder am Leben zu halten.
Die dreitägige Informationsreise nach Pilsen brachte sehr viele Einblicke in unterschiedliche Thematiken, gute Diskussionen und Austausch. Ein großer Dank gehört der IHK Oberpfalz/Kelheim, Frau Ingrid Wohlrabová und Richard Brunner, die die Gelegenheit zu dieser Reise ermöglichten und das Programm gestaltet haben, sowie allen Institutionen und Firmen, die ihre Türen für die bayerischen Abgeordneten öffneten. Es bleibt weiter Impulse zu setzen und daran zu arbeiten, dass die bayerisch-tschechische Zusammenarbeit sich weiter ausweitet, noch mehr Firmen, Institutionen und Schulen die Kooperation mit dem Nachbarland ausbauen und sie einen Vorteil darin sehen, die Nachbarsprache, zumindest auf Basisniveau zu lernen.