Mehr als 200 Gäste und ehrenamtlich Aktive vieler verschiedener Migrantinnenorganisationen und Migrantenorganisationen folgten der Einladung unserer integrationspolitischen Sprecherin Christine Kamm und uns Landtags-Grünen. Zentrales Thema der ganztägigen Konferenz war die Rolle der organisierten Verbände von und für Menschen mit Migrationshintergrund in Bayern. Ein breitgefächertes Programm mit Workshops und Redebeiträgen von Christine Kamm, unseres Kommunalpolitik-Experten Jürgen Mistol, unserer Frauenpolitik-Expertin Verena Osgyan und zahlreichen Gästen, darunter Mitra Sharifi-Neystanak, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte (AGABY) und Safietou Schwab von MORGEN e.V., wurde mit Musik des syrischen Friedenschors München abgerundet.
Teilhaben, Teil sein?
Alleine im Großraum München existieren mehr als 1.300 Gruppen, Verbände, Vereine oder ehrenamtliche Initiativen, wobei hiervon mehr als 170 einen Migrationshintergrund haben. Mehr als 20 Prozent der Bayerinnen und Bayern haben einen Einwanderungshintergrund. Bayern ist also ein Einwanderungsland. Der öffentliche Diskurs, die Wahrnehmung und die Sichtbarkeit dieser Menschen spiegelt dies jedoch nicht wieder. Die Arbeit vieler Organisationen von und für Migrantinnen und Migranten geschieht im Verborgenen. Integration ist kein geradliniger Prozess in eine Richtung, sondern vielmehr ein beidseitiges individuelles Voranschreiten, bei dem die Anforderungen der Gesellschaft, des Alltags und die Bedürfnisse des eigenen kulturellen, ethnischen und gegebenenfalls auch religiösen Hintergrundes einen Konsens bilden müssen.
Arbeit und Sprache sind die wichtigsten Säulen der Integration. Nur wer berufstätig ist, kann ein selbstbestimmtes Leben führen. Nur wer Deutsch kann, kann sich außerhalb der Muttersprache politisch, gesellschaftlich aber vor allem auch im Alltag einbringen und beteiligen. Die Staatsregierung sieht dies jedoch anders. Migrantinnen und Migranten werden als Personalressource betrachtet. Fähigkeiten und Arbeitseinsatz werden gerne in Anspruch genommen, um die bayerische Wirtschaft zu stärken und den Absatz zu erhöhen. Eine Ressource hat aber keine eigene Identität, sie muss nicht partizipieren und soll nicht gestalten. Leitkultur nennt es die CSU. In Wahrheit ist es jedoch ein Leitkult. Migrantinnen und Migranten sollen bestenfalls ihre eigene Herkunft hinter sich lassen und dem folgen, was die CSU als bayerisch betrachtet – auch wenn sie selbst nicht weiß, was das eigentlich ist.
Wir Grünen im Bayerischen Landtag und auch die Mitorganisatoren des Vernetzungstreffens dagegen sagen: "Wer in unserem Land dauerhaft lebt, soll aber mitbestimmen und -gestalten können! Mit Vernetzungstreffen wie diesem wollen wir Mittel und Wege aufzeichnen, wie Migrantinnen und Migranten besser an unserer Gesellschaft teilhaben können oder dass sie schon jetzt ein Teil unserer Gesellschaft sind“, so Christine Kamm.
Politische und gesellschaftliche Teilhabe
Im Workshop mit der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, Frau Mitra Sharifi-Neystanak und Frau Dimitrina Lang aus dem Migrationsbeirat in München standen Möglichkeiten im Zentrum, wie Menschen mit Migrationshintergrund sich besser auf der politischen Ebene beteiligen können. Einig waren sich die Teilnehmenden darüber, dass eine politische Anerkennung als Minderheit und eine Beachtung auf Augenhöhe der eigenen kulturellen Identität eine essentielle Voraussetzung für politische Teilhabe ist. Die Frage, wie lange man selber als Migrant und Migrantin wahrgenommen wird, wurde ebenso thematisiert, wie die wenig überraschende Feststellung, dass ohne Wahlrecht kein politisches Engagement möglich ist. Als mögliche Handlungsoptionen wurden neben Quotenregelungen und einem kommunalen Wahlrecht für alle Einwohnerinnen und Einwohner diskutiert, ob ein Mentor- oder Patenprogramm in den verschiedenen Parlamenten die Teilhabe verbessern kann. Als schnell und kosteneffizient umsetzbare weitere Option wurde ein rascher Ausbau der politischen Bildung und politischen Aufklärung eingebracht.
Bildung, Geschichte der kulturellen Vielfalt
Im Schulprojekt: Schlau-Schule können Flüchtlinge ihren Schulabschluss erreichen oder nachholen. Das bereits mehrfach ausgezeichnete Projekt stellte den Ausgangspunkt des Workshops zum Thema Bildung dar. Herr Christian Stegmüller, der Grundsatzreferent der Schlau-Schule und die Vorsitzende der Grünen Bayern, Frau Sigi Hagl leiteten den Workshop. Als Herausforderung für die bayerische Bildungswelt gilt die rasch wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Das bayerische Schul- und Bildungssystem ist zu starr, um Menschen die aus völlig anders aufgebauten Schulsystemen stammen oder gar keine Bildung bisher erhalten haben, aufzunehmen und adäquat zu bilden. Auch die Bildungsgerechtigkeit ist in Bayern ungleich. Menschen mit Migrationshintergrund haben viermal so oft keinen Schulabschluss. Menschen mit Fluchterfahrung haben hinzukommend oftmals keinerlei Bildungsvorkenntnisse, leiden unter Traumata und weisen dementsprechend eine viel höhere Abbruchquote auf. Die Schlau-Schule bietet einen Unterricht an, der Sprache und Kultur seiner Schülerinnen und Schüler beachtet und traumasensibel angeboten wird. Die Erfolge lassen sich sehen: 95 Prozent der Schüler und Schülerinnen erreichen den Mittelschulabschluss. Welche Verbesserungen in Bayern umgesetzt werden müssen, darüber sind sich die Teilnehmenden einig: Staatliche Angebote zur Vernetzung der Ehrenamtlichen, mehr Integrationsbeauftragte und Supervision, anstatt einer Selektion eine allgemein verbesserte Förderung aller Schüler und Schülerinnen, mehr Ganztagsschulen, kulturelle Vielfalt an Schulen leben. Auch Lehrkräfte und Ausbilder und Ausbilderinnen könnten von kultursensiblen und interkulturellen Fort- und Weiterbildungsangeboten profitieren.
Arbeitsmarktintegration
In diesem Workshop zeigten Frau Ahu Yildirim und Ludwig Simek vom AGABY-MigraNet Projekt „Beruflich anerkannt“ wie die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann. Denn gerade hier legt die Staatsregierung mit ihrer flüchtlingsfeindlichen Politik viele Steine auf dem Weg und erschwert die Arbeit sowohl der Ehrenamtlichen, der Wirtschaft aber auch den Hauptamtlichen. Als Herausforderung wurde im Workshop zum Beispiel das oftmals fehlende Verständnis für das deutsche duale Ausbildungssystem und seine Anforderungen genannt. Oftmals geschieht es, dass „schnelles Geld“ einer fundierten und langen Ausbildung gegenüber bevorzugt wird. Auch unrealistische Erwartungshaltungen, fehlende Sprachkompetenzen und die deutsche Arbeitskultur wurden von den Teilnehmenden als zu meisternde Herausforderungen thematisiert. Doch es wurden nicht nur Probleme aufgezeigt, sondern auch Handlungsoptionen für Verbesserungen aufgestellt: Zum Beispiel die Einführung eines genormten Kompetenzfeststellungsverfahrens. Einem Qualifizierungsangebot für Analphabeten und flächendeckenden Sprachangeboten. Bundeseinheitliche Regelungen sind ebenso notwendig, wie ein Wegweiser für Ansprechpartner und Zuständigkeiten gebündelt mit der Anstrengung Bürokratie nachhaltig abzubauen. Die 3+2-Regelung muss auch in Bayern umfassend eingeführt werden. Auch der miserable öffentliche Personennahverkehr außerhalb der Städte wurde als großes Hindernis für eine bessere Arbeitsmarktintegration bezeichnet.
Frauenrechte, Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern
Frau Mahbuba Maqsoodi machte das Thema: Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zum zentralen Thema ihres Workshops, welcher von Verena Osgyan, Sprecherin für Frauenpolitik moderiert wurde. Der Workshop stellte anschaulich dar, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einer der zentralen Grundwerte unseres Grundgesetzes ist, dessen uneingeschränkte Einhaltung wir ausnahmslos von allen in diesem Land fordern. Frauenrechte dürfen aber auch nicht missbraucht werden, um die Angst vor zugewanderten Menschen zu schüren oder für rassistische Argumentationen zu instrumentalisieren, oder von eigenen patriarchalen Rollenbildern abzulenken. Möglichkeiten zur Verbesserung sehen die Teilnehmenden des Workshops darin, Frauenquoten auszubauen, um eine bessere Thematisierung von frauenspezifischen Problemen zu gewährleisten. Darüber wurde das Ziel, Gleichstellung übergreifend landesweit voranzutreiben. Je mehr die Prinzipien der Gleichstellung in allen Bereichen der Gesellschaft und des alltäglichen Lebens verankert und umgesetzt wird, desto besser wird dadurch automatisch auch die Rolle von Migrantinnen. Die Anerkennung von Abschlüssen soll verbessert werden, um Migrantinnen den Einstieg in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Als Grundlage jeder weiteren Entwicklung hielten die Teilnehmenden fest, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Nicht nur Migrantinnen, sondern viele Frauen hinterfragen ihre Erziehung, ihre eigene Rolle in der Gesellschaft, der Familie, im Berufsleben oder bei der Familiengründung nicht.
Wohnen – Stadtentwicklung und interkulturelles Zusammenleben
Herr Matthias Weinzierl und sein Team haben das Bellevue di Monaco im Herzen Münchens als ein Begegnungsort der Kulturen installiert. Dafür mussten Sie im Eigenregie und mit viel Power Barrieren der Bürokratie, aber auch viele Wände niederreißen. Denn das Bellevue ist noch nicht fertig saniert und doch jetzt schon eine Bereicherung für München. Jürgen Mistol, der bau- und wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion moderierte diesen Workshop. Orte der Begegnung, ob als Jugendzentrum, für interkulturellen Austausch oder ganz einfach als mögliche Treffpunkte für Migrantinnenorganisationen und Migrantenorganisationen sind ein gutes Mittel, um auch im Bereich der Stadtentwicklung Akzente für ein besseres interkulturelles Zusammenleben zu setzen. Eine Durchmischung der Wohnviertel und ein Ausbau von lebenswerten sozialgeförderten Wohnungen müssen nach Ansicht der Workshop-Teilnehmenden darüber hinaus ebenfalls Grundstein jeder Politik sein.
Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung
Zu viel; so das kurze und klare Statement der Teilnehmenden dieses Workshops, der von Herrn Hamado Dipama vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern und Frau Fatema Mian von Neue Deutsche Medienmacher geleitet und von Frau Lourdes Ros, InitiativGruppe – Interkulturelle Begegnung&Bildung e.V. moderiert wurde. Sie hielten fest, dass es zu viel Rassismus und zu viel Diskriminierung im Alltag, zu viele falsche Infos über Migrantinnen und Migranten oder vermeintliche Vorurteile, zu viel populistische Hetze gibt. Gleichzeitig haben Zivilcourage und Sensibilisierung nachgelassen. Möglichkeiten, hier entgegenzusetzen sind eine Aufklärung über die bestehenden europäischen Antidiskriminierungsgesetze von Betroffenen und dem Einbringen eines Antidiskriminierungsgesetzes auf Landesebene. Aber auch die bestehenden Strukturen zur Bekämpfung von Rassismus sollten ausgebaut werden und die Förderung von Präventionsnetzwerken erhöht werden. Als ein Beispiel für sinnvolle Maßnahmen wurde die InitiativGruppe – Interkulturelle Begegnung & Bildung e.V. in München genannt. Der Verein, den Frau Lourdes als kulturelle Brücke aufgebaut hat, schafft es immer wieder durch die Unterstützung und Beratung von Flüchtlingen und Zugewanderten das friedliche Zusammenleben in der Stadt voranzubringen.
Zuwanderung und Asyl: Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz
Im von Christine Kamm und Frau Gönül Kurt vom Migrationsbeirat Landeshauptstadt München geführten Workshop stand die Frage, wie ein deutsches Einwanderungsgesetz aussehen muss im Zentrum. Es wurde festgehalten, dass Einwanderung anhand der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bedürfnisse orientiert werden sollte, nicht anhand der Herkunft.
Bürgerschaftliches Engagement von Migrantenvereinen
Herr Erich Eisenstecken vom Selbsthilfezentrum München und Frau Friederike Junker von MORGEN e.V. stellten ihre Arbeit vor und besprachen das ehrenamtliche Engagement von Migrantenvereinen. Frau Gerlinde Wouters von der Förderstelle für bürgerschaftliches Engagement moderierte das Workshop. Viele Menschen mit Migrationshintergrund engagieren sich ehrenamtlich oder vernetzen sich. Im Gegensatz zur in Deutschland stark formalisierten Form ist diese Art von Engagement aber oft sehr informell und locker organisiert. Diese kulturellen Unterschiede äußern sich zum Beispiel dadurch, dass sich die Landfrauen zum Beispiel stark organisieren, Fördermittel beantragen, Räume mieten und sehr geschlossen auftreten. Eine türkische oder libanesische Frauengruppe dagegen, würde sich einfach völlig informell zusammenschließen und treffen. Förderung könnte hier so aussehen, dass mehr Aufklärung über die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten des Zusammenschlusses informiert wird. Oft ist zum Beispiel nicht bekannt, dass Fahrtkosten abgerechnet, Räume bereitgestellt oder sogar eine Aufwandsentschädigung beantragt werden kann. Vor allem außerhalb der Städte fehlt es an einer Sensibilisierung für die Belange und die Art und Weise des ehrenamtlichen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund.